Sich das eigene Leben und Land aus der Perspektive des Auslands anzuschauen, hilft oft, um sich der Absurditäten und Widersprüche der eigenen Kultur bewusst zu werden.
Denn so gewinnen wir eine neue Perspektive, dringen in eine neue Realität ein, die uns vielleicht eine kritischere Sicht der Dinge gewährt. Dies ist auch die Bedeutung von Geschichten wie Gullivers Reisen oder Der Bericht von Brodie.
Und so fragen wir uns, wie es sein kann, dass heute wieder ein neuer Puritanismus herrscht, der Hand in Hand mit Zensur und Unterdrückung kommt, und was wohl ein Alien von solch einer Gesellschaft halten würde, in deren Medien Aggressionen, Brutalität, Despotismus, Unterwerfung und Sexismus herrschen.
Und dieser „Logik“ entsprechend wurde in London angeordnet, die Genitalien eines Aktes von Lucas Cranach zu verdecken, auf Facebook wird die Werbung für ein Album für die Scissor Sisters verboten, weil auf dessen Cover eine wunderschöne schwarzweiss Fotografie von Robert Mapplethorpe zu sehen ist, auf der man einen Hintern sehen kann.
Und nun ist Sukran Moral, eine der interessantesten Figuren der zeitgenössischen Kunst von dieser heuchlerischen Tendenz betroffen, die sich gezwungen sah die Türkei zu verlassen und nach Rom zu reisen, weil sie vor Morddrohungen fliehen musste. Reaktionen auf ihr Werk Amemus in der Casa Dell’Arte in Istanbul, ein Theaterstück indem sie eine lesbische Beziehung inszenierte. Die Künstlerin, die weiß, dass ihr Werk provokant ist, fürchtet sich dennoch zum ersten Mal um ihr Leben.
Eine so extreme Reaktion lässt sich vielleicht nur daran erklären, dass diese regressive, opressive Sichtweise peu a peu in der Türkei von einem neuen Zeitgeist verdrängt wird, in dem Freiheit und Liberalismus regieren. Es ist hoffentlich das letzte, ungehörige Aufbäumen einer Mentalität, die bald von einer neuen, progressiven Sichtweise abgelöst wird.
Paul Oilzum
Wenn Sie appartments in Istanbul mieten, werden Sie es selber spüren, wie dieser neue Zeitgeist Ihnen überall entgegen kommen wird.